Auszeichnung einer versteckten Perle
Mit seinem Label zeichnet der Verein Gewässerperle PLUS)), unberührte Bäche und Flüsse sowie das Engagement der Menschen vor Ort aus. Das Label beruht einerseits auf naturwissenschaftlichen Kriterien – andererseits auf gemeinsam beschlossenen, freiwilligen Massnahmen für jeweils fünf Jahre.
Der Zustand des Roggenhausenbachs wurde im November 2023 durch Timon Stucki vom Büro UNA ( UNA ) hinsichtlich der vorgegebenen Kriterien überprüft und für das Label zugelassen. Darauf folgte die Erarbeitung eines Entwicklungsplanes (( Entwicklungsplanes )) durch alle Interessierten, die sich an drei Anlässen (April bis Juni 2024) im Rahmen eines Partizipationsprozesses trafen.
Lebendiges Zusammenspiel
Am Roggenhausenbach wirken verschiedenste Akteure zusammen. Uns Menschen sind die eigenen Aktivitäten am offensichtlichsten: Forst- und Landwirtschaft prägen die Vege-tation und damit auch, wieviel Licht bis zum Bach gelangt. Die Helligkeit wiederum hat einen Einfluss auf Insekten, Pilze, Pflanzen und Kleinstlebewesen im und ums Wasser. Breite Forststrassen laden uns Menschen ein, mit dem Velo durch den Wald zu fahren; schmale Pfade, die sich dem Bach entlang schlängeln, bringen uns näher an die versteck-ten Lebensräume anderer Akteure. Die Wurzeln der Bäume sichern das Ufer, und kleinste Gänge von Ameisen und Würmern machen den Boden durchlässig, so dass es nicht zu Überschwemmungen kommt.
Ziel des Partizipationsprozesses war, dass sich die Menschen und Behörden, die sich mit dem Bach beschäftigen, darüber verständigen, wie er sich in den nächsten Jahren entwi-ckeln soll. Ihre Beiträge an den Schutz und Erhalt des Bachs sollte dazu in Massnahmen festgehalten werden. Ein Entwicklungsplan lässt sich nicht theoretisch erarbeiten, auch wenn Karten und Daten aus geographischen Informationssystemen eine wichtige Basis dafür liefern. Das lebendige Zusammenspiel von Wasser, Pflanzen, Tieren und Menschen findet nicht in den Plänen statt, sondern draussen in der Landschaft. Gerade deshalb war es so wichtig, dass alle, die den Bach kennen, zur Mitwirkung eingeladen wurden. Wer täglich dem Roggenhausenbach entlang den Hund ausführt, hat eine andere Sicht auf den Bach als der Landwirt, der ihn seit der Kindheit kennt oder das Kind in der Cevi-Gruppe, das seine Samstage am Ufer mit Rollenspielen verbringt. Gemeinsam sollte im Partizipa-tionsprozess eine Sicht auf die Zukunft entstehen; wie die Perle erhalten werden kann und auch, wie ihr Glanz noch mehr zum Strahlen kommt.
Gemeinsam Gestalten
Das Gewässerperle PLUS-Label strebt starke Gemeinschaften an, die sich um die wilden Gewässer in der Schweiz kümmern. Der Partizipationsprozess sollte auch dazu dienen, aus individuellen Interessensvertretenden, z.B. des Forsts, der Landwirtschaft, der Spa-ziergängerinnen und der Jugendorganisationen eine Gruppe von Menschen zusammen zu bringen, die sich auch in Zukunft um den Roggenhausenbach kümmern wird. Nur gemein-sam kann eine balancierte und nachhaltige Entwicklung gelingen, die den Schutz und Er-halt dieser Perle ins Zentrum stellt.
Für das Projektteam ist klar: alle potenziellen Interessensvertretenden müssen die Mög-lichkeit haben, sich einzubringen. Fünf Ortsbürger- und Einwohnergemeinden liegen ent-lang dem Roggenhausenbach, verteilt auf zwei Kantone. Hinzu kommen private Grundei-gentümer, Naturschutzprojekte und -vereine, Jugendgruppen, Jagdgesellschaften, das Naturama, der Tierpark Roggenhausen, die Schulen und die breite Öffentlichkeit, von de-nen vermutlich mindestens die Spaziergängerinnen mit und ohne Hund, Reiter und auch Pilzlerinnen interessiert sein könnten. Sie alle wurden eingeladen, mit Zeitungsinseraten, Briefen, Mails und in persönlichen Gesprächen.
Über Hoffnungen und Befürchtungen reden
Damit der Partizipationsprozess gelingen konnte, mussten die Teilnehmenden Vertrauen zueinander finden und über ihre Befürchtungen und Hoffnungen reden. Ein Landwirt woll-te am Informationsanlass wissen, ob ihm mit dem Label engere Vorschriften gemacht würden. Die Vertreter des Natur- und Vogelschutzvereins sorgten sich, dass mit der Me-dienberichterstattung zum Label das Interesse am Roggenhausenbach so stark ansteigen könnte, dass der Lebensraum von Tieren und Pflanzen bedroht würde. Gemeinsam wur-den Fragen formuliert – etwa, was die Forstwirtschaft dazu beitragen könnte, dass mehr Licht auf den Waldboden trifft, damit vielfältigere Lebensräume für vom Aussterben be-drohte Pflanzen und Tiere entstehen. Für alle Anwesenden wurde am ersten Anlass spür-bar, dass ihr Bach unterschiedlich erlebt wird, und sie liessen sich sogar auf die Frage ein, welche Entwicklungen sich der Roggenhausenbach selbst wünschen. Es ist schwierig, ei-nem Bach eine Stimme zu geben – gerade weil er so vielfältig zusammengesetzt ist. Und doch verwoben sich die Erlebnisse und Erfahrungen der Land- und Forstwirte, der Natur-schützer, Spaziergängerinnen und Jugendorganisationen zu einer Geschichte, die den Roggenhausenbach charakterisiert und ihn so in den Saal des Kultur- und Kongressshau-ses Aarau trug.
Zielbilder entwerfen
Anfang Mai, am zweiten Anlass des Partizipationsprozesses, diskutierten rund zwanzig Menschen miteinander, was sie am Roggenhausenbach in fünf Jahren gerne erleben wür-den. Was sollte bewahrt und vor unbedachten Handlungen geschützt werden? Wo liegen Chancen, das Leben am Bach noch reicher und tragfähiger zu gestalten? Der Bericht von zum Naturzustand des Roggenhausenbachs gab dazu einige Anregungen, ebenso wie die Erfahrung und das Wissen der Naturschutzvereine und Verwaltungsmitarbeitenden. Es befürchteten viele, dass bald unzählige Pfade und Bikerspuren dem Bach entlangführen und den Lebensraum der Tiere und Pflanzen bedrohen würden. Gleichzeitig wollte nie-mand für Verbote einstehen – das passte nicht in das gemeinsame Bild, das die Teilneh-menden sich von der Zukunft des Bachs gemacht hatten. An Stellwänden und in Diskussi-onsrunden wurden Zielbilder entworfen, möglichst konkret, damit das Projektteam später davon Massnahmenvorschläge ableiten konnte.
Massnahmen konkretisieren
Die Teilnehmenden trafen sich Ende Mai erneut im Kultur- und Kongresshaus, um den Entwicklungsplan zu diskutieren. Das Projektteam hatte konkrete Massnahmen ausgear-beitet, die zu den Zielbildern führen sollen und die nun von den Teilnehmenden diskutiert wurden. Die Gruppe beschäftigte sich nun mit ganz praktischen Fragen zur Umsetzung: Wer aus der Arbeitsgruppe könnte wo und wann mit Expertise, Erfahrung und Arbeitskraft mithelfen? Wie liesse sich eine Massnahme finanzieren? Das gemeinsame Interesse war in den Diskussionen ebenso spürbar wie die Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Bedürfnisse. Wie hätte der Roggenhausenbach wohl mitgeplätschert, wenn er die Teil-nehmenden hätte hören können?
Im Partizipationsprozesses wurden von den Teilnehmenden viele Fragen gestellt und ge-meinsam wurde versucht, die Antworten zu finden. Eine davon schien zuerst ganz banal: was gehört eigentlich alles zum Bach? Man war sich schnell einig, dass neben dem Bach-lauf mit dem eigentlichen Wasserkörper natürlich auch die Ufer dazugehörten, und alle Pflanzen und Tiere, die sie bevölkern. Die am Workshop entworfenen Zielbilder führten auch zu Diskussionen über Indikatoren: Woran ist erkennbar, ob die Entwicklungen in die gewünschte Richtung führen? Wie sieht eine gelungene Massnahme aus?
Sich gemeinsam kümmern
Im Laufe des Prozesses wurde allen klar: aus den vielfältigen Interessensvertretenden ist eine Gemeinschaft entstanden, die sich auch in Zukunft auf vielfältige Weise um den Bach kümmern will. Sich kümmern heisst dabei nicht, dass es keine Konflikte geben wird. Es heisst, dass im gemeinsamen Entwickeln von Massnahmen der Grundstein gelegt wurde, um Konflikte zu lösen und die Verbindung untereinander zu pflegen, weil der Bach für alle Beteiligten bedeutsam und wertvoll ist.
Das Projektteam spürte auch die Dringlichkeit, auf den Klimawandel und den Biodiversi-tätsverlust zu reagieren. Beides sind Herausforderungen, auf die die gesamte Gesell-schaft Antworten finden muss, nicht nur die Gemeinschaft um den Roggenhausenbach. Erlebt werden sie aber auch hier: in der Frühlingshitze, in plötzlicher Trockenheit oder Nässe, im Einzug von fremden Pflanzen und Tieren, die mit der klimatischen Ungewiss-heit besser zurechtkommen, im Fehlen von den Vogelstimmen, denen die Grosseltern noch lauschten.
Wie sehen erfolgreiche Entwicklungspläne angesichts dieser Herausforderungen aus? Ein gelingender Fortschritt könnte sich am Erhalt der Entwicklungsmöglichkeiten ausrichten; daran, wie viele Chancen wir zukünftigen Generationen offenhalten oder sogar schaffen können. Im Mittelland gibt es kaum noch natürlich fliessende Bäche. Die allermeisten wurden korrigiert, um Siedlungen zu schützen und landwirtschaftliche Flächen zu ver-grössern. Heute wissen wir, dass damit unserer Landschaft ein natürliches, dynamisches Element, das auch zur Sicherheit und zur Regenerationsfähigkeit unserer Lebensgrundla-gen beiträgt, fehlt. Um auch in Zukunft Chancen zu erhalten, müssen wir uns um die Ver-bindung zu natürlichen Kreislaufen und Akteuren kümmern, und auch um Räume, in de-nen sie sich frei entfalten können.
Angebote im Bereich Partizipation
- Unser Angebot für öffentliche Verwaltungen umfasst das Design und die Umsetzung von partizipativen Prozessen.
- Kurs: Partizipative Prozesse erfolgreich gestalten, 29. & 30.10.2025, 09h00 - 17h00 Bern
Partizipation und Zusammenspiel am Roggenhausenbach