Ausgangslage
Die Schweiz nimmt Menschen aus humanitären Gründen auf und gewährt ihnen vorübergehend oder dauerhaft Aufenthalt. Für die Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (Mineurs non accompagnés, MNA) sind die Kantone zuständig. Im Kanton Zürich betreibt die Asyl-Organisation Zürich (AOZ) hierfür verschiedene Wohnheime. Diese führen interne Aufnahmeklassen, welche die schulische und berufliche Integration vorbereiten. Das MNA-Zentrum Lilienberg in Affoltern am Albis bietet 90 Unterbringungsplätze. MNA sind Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahre, die von ihren Eltern getrennt sind, und für welche keine erwachsene Person die elterlichen Verpflichtungen wahrnimmt.
Das Projektteam hat im Dezember 2016 den Verein Umweltbildung & Integration gegründet. Das Ziel dieses Vereins ist es, Umweltbildung für Menschen mit Migrationshintergrund anzubieten. Der Verein hat mit dem MNA-Zentrum Lilienberg einen Partner für die Durchführung eines Pilotprojektes gefunden. Dieses Umweltbildungsangebot für die Zielgruppe MNA ist in der Schweiz bislang einzigartig. Im internen Lehrplan des Wohnheims steht neben Deutsch und Lebenskunde auch die Umwelt oben auf der Prioritätenliste. Insbesondere das Thema Abfall muss laut den Mitarbeitenden und Lehrpersonen dringend angegangen werden. Dem Anliegen kann aber im teilweise hektischen Alltag nicht mit der gewünschten Sorgfalt nachgekommen werden.
Ziel
Unbegleitete minderjährige Asylbewerber wissen, wie sie im Alltag zum schonenden Umgang mit Ressourcen beitragen können. Die erworbenen Kompetenzen helfen ihnen, sich in der neuen Umgebung zu integrieren.
Umsetzung
Das Pilotprojekt umfasste sowohl die Erstellung eines Abfallkonzeptes für das Zentrum als auch eine dreitägige Schulungsveranstaltung zum Thema Abfall und Recycling für die MNA. Die Schulung wurde mit einer internen Klasse in Zusammenarbeit mit der Kassenlehrerin durchgeführt. Neben der Vermittlung von Basiswissen stand auch die Einführung des neuen Abfallkonzeptes auf dem Programm.
Am Einführungstag im März 2017 lernte man sich kennen und die MNA zeigten dem Projektteam ihr Wohnheim. Es wurden verschiedene Sensibilisierungsübungen durchgeführt, um die fünf Wahrnehmungssinne zu schärfen. Die Schülerinnen und Schüler (SuS) wurden in die Aufgabe eingeführt, die eigene Umwelt anhand des Themas Abfall in kurzen Video-Sequenzen mit dem Handy festzuhalten. Aus diesen und weiteren Sequenzen entstand im Verlaufe des Schulungsmoduls ein Gesamtwerk.
Bei der Zusammenstellung der Unterrichtseinheiten wurde auf eine ausgewogene Mischung verschiedener Unterrichts- und Partizipationsformen geachtet. Die einzelnen Lektionen waren aufeinander abgestimmt. So wurden den SuS die Zusammenhänge zwischen Konsum und Abfall aufgezeigt. Auf spielerische Weise machten sie sich mit den Abfallsorten bekannt. Die Kreislaufwirtschaft wurde am Beispiel des PET-Recyclings erklärt. Die Vermittlung der Grundlagen wurde ergänzt durch die Recyclingolympiade und das Herstellen verschiedener Upcycling-Produkte.
Die Olympiade diente als roter Faden durch die Schulung. Drei Teams sammelten mit Eifer und gesundem Wettkampfgeist Punkte in den Disziplinen „Wertstoff-Sammlung“, „Schonender Umgang mit Ressourcen“ und „Entsorgungswege“.
Am dritten Tag reihte sich Höhepunkt an Höhepunkt. Zunächst wurde mittels eines Impulsreferats und dem Film „Ozean voller Plastik“ das Themenfeld des ersten Tages nochmals aufgegriffen. Danach wurden die Küchen der Wohngruppen mit den neuen Abfallbehältern bestückt und die SuS in ihre künftige Aufgabe als „Recycling-Assistenten“ eingeführt.
Am Nachmittag fand eine Führung durch den regionalen Recyclinghof statt. Dort wurde der weitere Weg der gesammelten Fraktionen aufgezeigt.
Eine gemeinsame Feier für alle Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Mitarbeitenden des Lilienbergs rundete die Veranstaltung ab. Der gesellige Anlass war der offizielle Startschuss zur Einführung des neuen Abfallkonzeptes. Während allen drei Tagen wurden von den SuS Filmsequenzen mit Handys erstellt. Das daraus entstandene Gesamtwerk wurde an der Abschlussfeier vorgeführt und diente der allgemeinen Sensibilisierung zum Thema Abfall und Recycling. Der Film wird der Schule des Lilienbergs zur Verfügung gestellt und kann im Unterricht verwendet werden.
Bei der Umsetzung halfen die zahlreichen Sachspenden der Recycling-Organisationen, die grosse Eigenleistung der AOZ sowie die finanziellen Beiträge der Association St. Nicolas, Bienne und der Stiftung Mercator Schweiz.
Resultate
Das bestehende Bildungsangebot des MNA-Zentrums wurde sinnvoll ergänzt. Die Schülerinnen und Schüler lernten, wie und warum Abfall zu trennen ist. Sie erweiterten zudem ihren Wortschatz. Bei der Umsetzung des neuen Abfallkonzeptes werden Güter in einen Kreislauf gebracht und wiederverwendet.
Somit landet weniger Müll aus dem Lilienberg in der Kehrichtverbrennungsanlage. Neben dem Abfallvolumen verringern sich auch die Entsorgungskosten. Im Pilotprojekt wurden Erfahrungen gesammelt, die zur Verbesserung der Abfallkonzepte in weiteren MNA-Zentren führen können. Das neue Abfallkonzept verbessert die Ordnung, erleichtert das Zusammenleben und senkt die Betriebskosten.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Einführung des neuen Abfallkonzeptes hat Auswirkungen auf die betrieblichen Abläufe des MNA-Zentrums. Das Abfallkonzept soll umgesetzt, evaluiert und weiterentwickelt werden. Die Motivation und der Lernwille der Schülerinnen und Schüler waren gross. Die Unterrichtseinheiten haben ihnen die ganze Breite des Themas „Abfall & Recycling“ aufgezeigt. Die MNA konnten somit ihre Kompetenzen im schonenden Umgang mit Ressourcen erweitern. Sowohl das Abfallkonzept als auch das Schulungsmodul können auf andere Heime übertragen werden. Der Verein möchte weitere Umwelthemen wie Wasser, Energie, Wald und Biodiversität aufbereiten und vermitteln. Einige Teammitglieder sehen eine künftige berufliche Aufgabe in diesem Nischenbereich der Umweltbildung.
Koautoren: Urs Nüesch, Nicolas Gruner, Marc Kuster, Romano Luisoni
Umweltbildung für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (PDF)
Umweltbildung für unbegleitete minderjährige Asylsuchende